Corona und Kommunikationswissenschaft? Es geht doch um Virologie, um Gesundheitsschutz, um Verbreitungsszenarien. Es geht um menschliche Schicksale. Vielleicht in nächsten Schritt um volkswirtschaftliche Auswirkungen und betriebswirtschaftliches Krisenmanagement. Aber um Kommunikation?
Auch wenn anfangs ehrfürchtiges, respektvolles Schweigen angesagt war, wird spätestens mit dem Aufkommen der Diskussion über das Herunterfahren der Schutzmaßnahmen deutlich, dass auch die Corona-Krise, wie so vieles andere stark mit Kommunikationsverhalten verwoben ist.
Unsere Weltinterpretation zerbricht
Ein wichtiges Konstrukt als Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Sinnkonstanz. Wir Menschen richten unser Verstehen und unser Sprechen extrem danach aus, in einer für uns stimmigen, konsistenten und möglichst stabilen Welt zu leben. Die Filterblasen sind beileibe kein Internet-Phänomen.
Das ist die große Herausforderung für den vorausschauenden Umgang mit Corona. Das Virus ist nicht sichtbar und bevor die Erkrankung das direkte Umfeld erreicht hat, bleibt sie auch sehr abstrakt. Darum fallen Botschaften wie: „es ist doch nur eine Grippe“ und „es wird schon nicht so schlimm werden“ auf fruchtbaren Boden. Sie passen in unser Weltbild – zumindest in das von gestern.
Die große Aufgabe: Die Bedrohung sichtbar und verstehbar machen.
Um Corona erfolgreich zu bekämpfen, muss es sichtbarer werden – ohne dass es schon zu spät ist. Nicht umsonst geht es im medialen Genre des Zombie- oder Alienfilms oft darum, die Bedrohungen zu erkennen. Von daher ist aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht das bevölkerungsweite Tragen von Mundschutz – wie jetzt in Österreich angeordnet – unabhängig von der seuchenhygienischen Wirkung zu begrüßen. Der Mundschutz macht deutlich, dass die Ansteckungsgefahr unerkannt überall liegen kann. Beim Nachbarn, beim Kollegen im Büro auch beim eigenen Enkelchen. Gleichzeitig ist der akzeptierte Mundschutz in der Öffentlichkeit ein großes Symbol der Solidarität. Wir alle tun etwas für unsere Nächsten. Anders als bei einer Corona-App, die die Bevölkerung einer Triage zuführt in: Geheilte und damit Unverwundbare, in akut Infizierte und damit Gefährliche und in die große Gruppe der Fragezeichen.
Um es klar zu sagen, die Politik macht im Punkte Gesundheits- und Lebensschutz einen guten Job. Es gibt eine klare Linie und ein klares Ziel, die Kapazitäten des Gesundheitssystem nicht zu überlasten und Menschenleben schützen. Selbst dass es um einzelne Punkte Diskussionen gibt, 1,5 oder 2 Meter Abstand, Verbot oder Gebot, wann ist die Ausgangsperre geboten, ergibt für eine Demokratie eine gute und verständliche Erzählung. Solange es um den Gesundheits- und Lebensschutz geht.
Noch keine erkennbare Story-Line: wie gewinnen wir die Kontrolle über Wirtschaft (zurück)
Ganz anders sieht es mit der Erzählung: Schutz der Wirtschaft und der Existenzen aus. Das liegt zum einen daran, dass jetzt viele von uns Geschäfte kennen, die geschlossen sind. Freunde, Bekannte oder Verwandte, die in Kurzarbeit gehen oder um ihrem Job fürchten. Wahrscheinlich sind diese Kontakte präsenter als die zu Kranken – noch vielleicht? Und damit sind wirtschaftlichen Ängste klarer und in unseren Weltinterpretationen präsenter als die vor der durch Corona ausgelösten Krankheit Covid-19.
Als zweiter Faktor kommt hinzu, dass die versprochenen Hilfsmaßnahmen, die Scholzsche „Bazooka“, nebulös und abstrakt bleiben. Viele Jahre bürokratischer Erfahrungen mit Sozial- und Steuerbürokratie lassen uns daran zweifeln, dass da nach vielseitigen Anträgen wirklich was bei den Bürgern ankommt. Hier fehlt eine Maßnahme mit großer Symbolkraft, wie die Stunde Null der Währungsreform oder das Begrüßungsgeld der Wiedervereinigung. Möglicherweise ein Zeichen, dass die Lage noch nicht so ernst und so grundlegend disruptiv angesehen wird bei den führenden Wirtschaftspolitikern. Hier muss die Zielsetzung klar lauten: greifbar und gerecht – so müssen die Hilfen sein.
Gesucht: Pragmatiker mit Kraft und Phantasie für positive Visionen
Alles entscheidend wird aber sein, dass wir schnell verstehbare und konkrete Szenarien für das Leben und Wirtschaften nach oder mit Corona bekommen. Die Szenarien der Wirtschaftsweisen sind nur ein erster Schritt, denn ob U- oder V-Entwicklung sagt mir noch nichts, was das für meine Familie und meinen Job heißt.
Wir müssen jetzt möglichst positive Bilder für das Leben mit Corona malen. Homeoffice, Hygiene, Abstände, neue Prioriäten, mehr Solidarität. So wie das auf einmal flächendeckend mögliche Homeoffice – bis vor Wochen noch für viele Unternehmen ein No-Go – der Schritt in eine andere Arbeitsgesellschaft sein kann, muss es erlaubt sein, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken, nicht als kurzfristige Notlösung, sondern als Bild einer solidarischeren und wirtschaftlich sorgenfreieren Gesellschaft. Etwas, für das es sich hoffen, streiten, arbeiten und verzichten lohnt.
Lieber Klaus,
vielen Dank für deinen Beitrag, der jedes Argument auf dem Punkt bringt.
Auch in meinem beruflichen Umfeld sind auf einmal Remote-Aktivitäten möglich die vorher undenkbar gewesen wären. Ein sichtbarer Sprint zur Digitalisierung. Das bringt auch weitere Vorteile mit sich, durch die hoffentlich bleibende Reduzierung von Reiseaktivitäten zum Kunden wird die Umwelt entlastet und Kosten gespart – verbunden mit einem großem Plus an eingesparter Zeit im Auto und gewonnene Zeit für die Familie und/oder Freunde.
Danke für Deinen Beitrag, den ich gerne in den sozialen Medien teile!
Liebe Grüße nach Wiesbaden!
Oliver
Danke Oliver, für die aufmunternden Worte und für das Teilen.
Grüße in den Süden und bleibt gesund!
Klaus