Was ist eigentlich Semiotik?

Semiotik, die Wissenschaft von den Zeichen.

Semiotik verknüpft unterschiedlichste Erkenntnisse mit Zeichen

Immer wieder werden wir gefragt: „Was ist eigentlich Semiotik und was hat das mit Wirtschaft und Unternehmen zu tun?“ Grund genug, den Versuch zu unternehmen, diese Frage einmal grundlegend und dennoch kurz und verständlich zu beantworten.
Ganz einfach erklärt ist Semiotik die Wissenschaft von den Zeichen – den Streit, ob sie tatsächlich eine Wissenschaft oder eher eine Lehre oder nur eine Theorie ist, lassen wir mal dahin gestellt. Semiotik sammelt daher alle Erkenntnisse über die Funktionsweise von Zeichen und Zeichensystemen. Sie entwickelt dazu eigene Theorien und überprüft diese theoretisch und empirisch.
Das Spannende an der Semiotik ist dabei, dass sie als Querschnittswissenschaft Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen wie Psychologie, Philosophie, Soziologie, Sprachwissenschaft, Informatik oder Mathematik zusammenführt und mittels der originär semiotischen Theorien und Methoden integrieren kann. Ebenfalls kann Semiotik Wissen aus Gegenstandswissenschaften hinzuziehen, wenn es um spezifische Zeichen z.B. aus Kunst, Politik oder eben Wirtschaft geht.
Semiotik ist sogar die einzige Wissenschaft, die mit Fug und Recht von sich behaupten kann, eine integrierte Erkenntnisgewinnungsmethode rund um Zeichen zur Verfügung stellen zu können. Das ist besonders dort von Relevanz, wo sehr unterschiedliche Faktoren die Bedeutung und Wirkung von Zeichen bestimmen und eine Gegenstandswissenschaft schnell an ihre Grenzen stößt, z.B. in der Unternehmenskommunikation, wo psychologische, soziologische, ökonomische, geschichtliche, ästhetische etc. Einflussgrößen die unternehmerischen Zeichen bestimmen. Wenn man hier den Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung unternehmen will oder muss, kommt man um die Semiotik nicht herum. Wobei man ehrlicherweise eingestehen muss, dass solche großen semiotischen Projekte kaum unternommen werden, was zum einen an der Scheu vor der Komplexität einer solchen Aufgabe liegt, zum anderen – ganz klar – am Wettstreit der Wissenschaften, bei dem andere Disziplinen bestimmte Themen und Fragestellungen beherrschen und so interdisziplinäre Ansätze eher blockieren.

Was ist ein Zeichen?

Zuerst fallen einem natürlich die direkt so benannten Verkehrszeichen ein, dann Wegweiser, Verbotszeichen wie das Nichtraucher-Zeichen oder andere Piktogramme. Man erkennt Schilder schnell als Zeichen und ist dann über Ladenschilder und Werbetafeln auch schon bei Unternehmenszeichen wie Logos angekommen.

Alles kann Zeichen sein, nicht nur das Offensichtliche

Aber Semiotik geht viel weiter: Für sie ist alles, was Bedeutung in sich trägt und/oder was auf etwas Anderes verweist als sich selbst, ein Zeichen. Sprachen fallen also darunter, ebenso wie künstlerische Werke und viele andere von Menschen geschaffene Dinge, die bewusst oder auch unbewusst Bedeutungen aufnehmen. Das ist der Rolls Royce vor der Tür als Statussymbol aber auch Werkzeuge oder Gebäude als Ausdruck einer bestimmten Art zu arbeiten. Auch mythische und magische Zeichen sollten nicht unerwähnt bleiben: Bilder oder Symbole für Gottheiten, Zauberformeln aber auch Fanartikel – sei’s für Popstars oder Fußballspieler oder für Produkte wie den Apple iPod – fallen darunter. Auch Geld und seine Funktion erschließt sich einem vollends nur unter Hinzuziehung der semiotischen Perspektive. Letztlich geht es in der Semiotik auch darum, dass alle Dinge, die uns umgeben: Wände, Straßen, Bäume, Himmel, Sonne uvm., nicht als solche wahrgenommen werden (können), sondern immer erst als (Zeichen für) Wand, Straße etc. interpretiert werden müssen. So kommen einige der bedeutendsten Semiotiker zu dem Ergebnis, dass alles Zeichen sein kann oder sogar ist.

Wie arbeitet die Semiotik?

Es gibt ganz grob vier Arbeits-, d.h. Theorie- und Methoden-Bereiche der Semiotik.

  • Zum einen das Erkennen und beschreiben von Zeichensystemen. Hier werden Strukturen und Ordnungen sowie Grenzen zwischen den Elementen des Systems und dem System nach außen untersucht. Typische Beispiele sind hier natürliche Sprachen als verbale und schriftliche Zeichensysteme. Notationssysteme wie das Morsealphabet oder Programmiersprachen gehören ebenso dazu. Aber auch Phänomene wie Bekleidungsregeln in der Geschichte oder in der heutigen Mode, Regeln der sozialen Ein- und Ausgrenzung und die Regeln in den verschiedenen medialen Ausdrucksformen wie Musik, darstellende und bildende Kunst, Hörfunk, Fernsehen und Kino fallen darunter. Zeichensysteme haben methodologisch den großen Vorteil, dass sie (halbwegs) statisch sind, und dass sie sich von der einzelnen Verwendung und dem einzelnen Verwender gelöst haben.
  • Zum zweiten beschäftigt sich Semiotik mit dem Zeichenprozess. D.h. im dem Entstehen und dem Interpretieren von Zeichen. Lange Zeit wurde dieser Bereich in der Semiotik vernachlässigt – insbesondere in den Bereichen, die in der Tradition des Strukturalismus stehen. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Zeichenprozess unverzichtbar ist für das Verstehen der Funktionsweise von Zeichen und damit für das Verstehen weiter Teile des menschlichen Intellekts, seiner Wahrnehmung und seines Verhaltens. Auch für das Verstehen von Zeichensystemen ist die dynamische Dimension des Entstehens und Vergehens zentral. Diese hat sowohl eine soziale als auch eine individuelle Komponente.
    Die Tücke liegt darin, dass Zeichen so gesehen einmalige, individuelle und unwiederbringliche Ereignisse sind. Die Kunst der Semiotik als Wissenschaft liegt nun darin, die hinter den einzigartigen Einzelzeichenprozessen liegenden Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten. Diese Gesetzmäßigkeiten ermöglichen dann Erklärungen, warum bestimmte Zeichen und Zeichensysteme von bestimmten Interpreten und unter bestimmten Umständen so angewendet wurden und sie erlauben auch – in Grenzen – Prognosen, wie Zeichen zukünftig angewendet und verstanden werden.
  • Der dritte Bereich der Semiotik ist der für den Außenstehenden am schwersten umzusetzende Bereich der reinen oder abstrakten Semiotik. Hier werden Zeichenmodelle und -theorien gegeneinander abgewogen und in Auseinandersetzung mit anderen Grundlagenwissenschaften wie Erkenntnistheorie, Logik aber auch Neurologie, Psychologie oder Anthropologie geprüft und weiterentwickelt. Hier dringt die semiotische Theorie immer weiter ins existenzielle Zentrum des Menschen vor und bietet sich als Bindeglied, als Metatheorie des menschlichen Seins an, z.B. im Streit zwischen Neurologie und Philosophie um das Wesen des (freien) Willens – zugegebenermaßen mit etlichen Problemen und Widerständen und ohne die finanzielle und organisatorische Ausstattung, die dieser Vision entsprechen würde. Dennoch ist die Semiotik weit mehr als eine Beschreibungs- oder Strukturierungstechnik für sprachliche und visuelle Medien, auf die sie viele konkurrierende Disziplinen reduzieren wollen.
  • Der vierte und letzte Bereich ist der der angewandten semiotischen Untersuchungen, in dem sich die Semiotik an einem konkreten Bedeutungs- oder Interpretationsproblem beweisen kann. Das reicht von so exotischen Themen wie der Formulierung von Botschaften für mögliche außerirdische Lebensformen, über die Bewertung und Verständlichkeitsprüfung von Designprodukten bis hin zur Untersuchung der Wertesysteme bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder bestimmter Staaten. Vielen – wenn nicht allen – aktuell brennenden Themen von ‚Klimakatastrophe‘ und der daraus resultierenden Notwendigkeit zur Verhaltensänderung über Völkerverständigung unter den Vorzeichen der Globalisierung bis hin zur Gestaltung der postindustriellen Wissensgesellschaft ist ein wesentlicher semiotischer Kern gemein.

Auch das kann Semiotik untersuchen.

Was hat Semiotik mit Wirtschaft und Unternehmen zu tun?

Nun könnte man im Gegenzug fragen, was an einem Unternehmen hat nicht mit Semiotik zu tun? Semiotik geht weit über naheliegende Anwendungen wie Werbung hinaus. Semiotik macht so komplexe Bereiche wie die Unternehmenskultur greifbar oder hilft, Fragen danach zu verstehen, wie Innovationen (= neue Zeichen und neue Interpretationen) in einem Unternehmen entstehen.

Die Semiotik bietet sich als Methoden- bzw. Handlungsrahmen immer an, wenn komplexe Bedeutungs- oder Sinnzusammenhänge erfasst und gesteuert werden müssen und immer dann, wenn eine einzelne Theorie oder Messgröße zu kurz greift. Sicherlich hat die Betriebswirtschafts- und Managementlehre viel Erfahrung damit, mit der Unzulänglichkeit der eingesetzten Instrumente (ceteris paribus) trotzdem brauchbare oder zumindest bestmögliche Ergebnisse zu generieren. Aber gerade wenn es um die Kombination sprachlicher und nicht-sprachlicher Inhalte geht, um die Erfassung subjektiver, schwerfasslicher Einstellungen, um die Berücksichtigung einer zeitlichen Dimension innerhalb von für das Unternehmen relevanten Bedeutungen oder um das Übertragen von komplexem, schwer beschreibbarem Verhalten in leichter fassbare Bedeutungseinheiten, z.B. sprachliche oder bildhafte Zeichen, da ist die Semiotik von großem Nutzen für Unternehmen. Auch für die Steuerung der großen komplexen Sinn-Systeme des Unternehmens: der Marken, der Kultur oder der Corporate Identity bietet sich die Semiotik an. Angewandte Semiotik schöpft ihre Methode dabei immer aus dem konkreten Einzelfall, so dass es keine starren und einfach reproduzierbaren Raster für semiotische Untersuchungen gibt.

Semiotik kann Augen für das Wesen des Unternehmens öffnen!

Konkret haben Semiotiker zahlreiche Einzeluntersuchungen von Produktdesigns, Verpackungen oder Kampagnen mit semiotischen Mitteln durchgeführt. Ferner gibt es z.B. semiotische Verfahren zur Abstimmung von Designs auf Marken oder Zielgruppen. Übrigens ein gutes Beispiel, wie sich schnell und zu überschaubaren Kosten hoch wirksame semiotische Lösungen zu praktischen Problemen der Unternehmenskommunikation finden lassen. Semiotik kann zur Markenuntersuchung, zur Markenpositionierung und -entwicklung genutzt werden. Zurzeit wird an semiotischen Verfahren geforscht, um immaterielle Werte wie Unternehmenskultur, Kundenzufriedenheit oder Wissen und Innovativität besser steuern zu können – im Sinne von Semiotic Scorecards. Zu guter Letzt existieren semiotische Instrumentarien, die die gesammelten Äußerungen eines Unternehmens (Anzeigen, Pressemeldungen und Medienberichte) semiotisch auf bestimmte relevante Zielgruppen hin filtern können, so dass man nicht nur erfährt, was in der Presse stand, sondern auch wie es die Zielgruppe, die einen eigentlich interessiert, verstanden hat. So kann zum Beispiel ein Handelsunternehmen besser kontrollieren, wie es von seinen potentiellen Käufern wahrgenommen wird. Und das börsennotierte Unternehmen steuert seinen Außenauftritt präziser im Hinblick auf Investoren und Kunden bzw. deckt mögliche Spannungsfelder schneller auf.

Bei all diesen Verfahren setzt die Semiotik keineswegs völlig neue Techniken und Methoden ein, sondern kombiniert durchaus bekannte Arbeitsweisen auch aus anderen Disziplinen, aber eben mit dem einzigartigen integrativen Ansatz des Zeichenprozesses: der einzigartigen Beschreibung der menschlichen Tätigkeit, mit der wir uns und unsere Umwelt erfassen.

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