Kreativität wird als Markenzeichen der Kommunikationsbranche schlechthin gehandelt. Preisverleihungen und ADC-Nägel gelten als die höheren Weihen jeder Agentur und erfolgreiche Unternehmen halten sich „ihre ausgezeichneten Kreativen“. Selbst die Wissenschaft arbeitet intensiv daran, zu beweisen „kreative Werbung wirkt besser!“ Dennoch möchte ich die These aufstellen, dass Kreativität überbewertet wird. Vor allem ist der Anteil an erfolgreicher Unternehmenskommunikation, den das hat, was im üblichen Sinne als kreativ bezeichnet wird, nämlich die überraschende Bildidee, die leichte Provokation, der freche Spruch und und und, deutlich geringer als vermutet.

Wenn ich Kommunikation reduziere auf den Kampf und die wenigen Sekunden Aufmerksamkeit vor dem Ladenregal oder vor dem Bildschirm (TV oder Internet), mag es noch angehen, dass frech weiter kommt. Aber das ist, um mit Domizlaff zu sprechen, das Verhalten des Marktschreiers und nicht des ehrenwerten Kaufmanns, der an langfristigen Kundenbeziehungen interessiert ist, und auch nicht das eines wirklichen Kommunikators. Ein weiteres Beispiel mag das weiter erläutern. Im Deutschen hat ja „Werben“ noch die klassische Bedeutung, sich um eine geliebte Person zu bemühen. Wie haben Sie Ihren Partner kennen gelernt, durch eine einzelne „kreative“ Aktion? Würden Sie jemanden heiraten, der Ihnen gänzlich unbekannt ist, bloß weil er einen spektakulären Heiratsantrag hinlegt? Wohl kaum. Es geht um den Aufbau von Vertrauen, von Bekanntheit, um Austausch und um aufeinander Eingehen, dann stellt sich das Gefühl von Gemeinsamkeit ein, auf dem man mehr Gemeinsames aufbauen möchte.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich rede hier nicht der Langeweile oder der mangelnden Qualität in Umsetzung und Ausführung von Kommunikationsmaßnahmen das Wort. Ich möchte nur den Blick weiten, für die Gesamtheit des Kommunikationsprozesses und da sind andere Dinge viel wichtiger als Kreativität.

Die Dinge, die im Allgemeinen als kreativ bezeichnet werden, wenn man mal die Wettbewerbe als gültige Messlatte akzeptiert, sind meist einzelne Effekte, einzelne statische „Stücke Werbung“. Auch ein TV-Spot ist für sich genommen ein statisches Stück Werbung. Kommunikation ist aber von ihrem Wesen her ein Prozess, mit einer Vergangenheit, die meist über den direkten Kommunikationsanlass hinausgeht. Aber auch im Aktuellen besteht Kommunikation aus viel mehr als einem singulären Wahrnehmungsakt, in dem etwas als kreativ empfunden werden kann. Kommunikationsgestaltung sollte daher vielmehr Prozessgestaltung sein.

Und so traurig es klingt, der menschliche Kommunikationsprozess ist nicht auf Kreativität ausgelegt, er verträgt nur ein geringes Maß an Überraschung, an Regelverstoß, an Andersartigkeit und wie auch immer die Parolen der Kreativität gerade heißen. Verstehen und Verständigung sind fragile menschliche Unterfangen, daher werden sie von Redundanz und dem Streben nach Sicherheit beherrscht. Als erfolgreiche Markenorganisation bemühe ich gerne die katholische Kirche, und deren Kommunikationsrituale sind keinesfalls von Originalität gekennzeichnet. Auch das zwischenmenschliche Gespräch besteht aus einem diffizilen System von Rückmeldungen, Bestätigungen und Versicherungen mit Stimme, Geräuschen, Gesten und Gesichtsausdrücken.

Das wichtigste bei Kommunikation ist aber das ‚Zuhören’. Und das ist etwas, was Werbe- Kreativität kaum abbilden kann. Werbe-Kreativität ist meist ein Werturteil unter Experten, unter Könnern, die sehr nahe dran sind an der jeweiligen Thematik und den Maßstäben der Branche. Der Hörer, also der Werbenutzer auf der Straße und in den Wohnzimmern, ist das nicht. Selbst Publikumspreise sind in der Regel Preise nach dem Maßstab „gefällt mir“ und nicht „hat mir mal überzeugend ein Produkt nahe gebracht“. Wir Menschen bauen unsere bewussten und unbewussten Interpretationen zu einem geschlossenen, individuellen Weltbild zusammen. Kreativität findet da nur unter ganz bestimmten Gattungs-Vorzeichen einen Platz: Kunst, Humor, Magie. Das sind aber abgegrenzte Sphären, die die Menschen bewusst betreten und verlassen. Dies ist aber fatal für die Unternehmenskommunikation, denn in der Regel will sie ja, ob für den Energieanbieter, den Autobauer oder den Schokoriegel, der tägliche Begleiter des Menschen werden, sozusagen der Speer des archaischen Jägers. Nur wünscht sich der Jäger diesen Speer stark und verlässlich und nicht kreativ und unberechenbar.

Um nicht weiter abzuschweifen: Kommunikation muss ganzheitlich angelegt werden, als strategischer Prozess, mit definierten Kontroll- und Korrekturphasen, um dann flexibel auf die Reaktionen oder Nicht-Reaktionen der Zielgruppe eingehen zu können. Und – auch wenn es auch schmerzt – weder in diesem planerischen Gerüst noch im dynamischen Management von Unternehmenskommunikation spielt die klassische, bunte Kreativität der Werbung eine entscheidende Rolle.

Nun mag einer rufen, das ist doch selbstverständlich, hier setzt doch die Kreativität erst ein, innerhalb der strategischen Vorgaben. Dieses lehrbuchmäßige Vorgehen, bei dem erst die Strategie entwickelt und dann der Prozess definiert wird, ist aber leider in der Praxis viel zu selten der Fall. Im Management muss entschieden, budgetiert und geplant werden. Und da ist eben die Fokussierung auf die Entscheidung für Ansatz A oder Ansatz B wesentlich einfacher, als ein permanentes, dynamisches Kommunikations-Management, das ständiges Agieren und ständige Veränderung der Parameter mit sich bringt. Entscheidung für den kreativeren Ansatz und los und auf keinen Fall mehr dran rütteln. Diese Fire-and-Forget-Haltung ist eine zentrale Ursache für nicht erfolgreiche Kommunikation. Denn zum Wesen der Kommunikation gehört unabdingbar das permanente Kontrollieren und Nachsteuern dazu. Wie im normalen Gespräch müssen wir sensibel auf die Reaktionen unseres Gegenüber achten und unsere Aussagen verdeutlichen, ergänzen, paraphrasieren und in den seltensten Fällen – z.B. bei reinen Wahrnehmungsschwierigkeiten – einfach nur wiederholen. In normalen Kommunikationsabteilungen gilt fatalerweise Korrigieren nach der ersten Veröffentlichung als Eingeständnis der Schwäche, des Versagens, was tunlichst zu vermeiden ist. Im Gegensatz zu den Korrekturen vor der Erstveröffentlichung, die manchmal bis zum Exzess betrieben werden, auch ohne empirischen Befund und Grund zur Änderung. Echte Kommunikation benötigt ein flexibel zu justierendes Kommunikationssystem – und das ist die wahre Kunst, im Gegensatz zu ‚pfiffigen Ideen’.

Zwei Anmerkungen noch zu diesen Entscheidungsprozessen. Wer aus dieser Kritik an der ‚Kreativität’ jetzt folgert, dass einem Copytest der Vorzug zu geben sei, der irrt, das ist nur die Wahl zwischen Szylla und Charybdis. Denn die meisten Effekte des Kommunikationsprozesses im wirklichen Leben lassen sich im auf eine Management- Entscheidung orientierten Copytest nicht abbilden. Eine besondere Tücke bereiten auch Gremienentscheidungen, da z.B. Kampagnenauswahl durch Mehrheitsentscheid zu Verwässerung und Konsens und seltener zu kommunikativer Wirkung führt. Da sind autokratische Alleinentscheider oft im Vorteil, die dann zumindest instinktiv dem Verstehen ihrer Zielgruppe nahe kommen.

Auch wenn ich dem Copytest nur bedingte Aussagekraft einräumen möchte, ist die Hörerrolle, d.h. das aktive Aufnehmen, wie meine Unternehmenskommunikation bei der Zielgruppe ankommt, und welche Vor-Urteile meine Zielgruppe hat, unverzichtbar und wird jenseits der klassischen Markenartikelindustrie viel zu wenig unternommen. Wenn ich sonst im Analysieren von außen äußerst vorsichtig bin, würde ich die Aussage „Sie machen zu wenig Marktforschung“ für den durchschnittlichen Mittelständler fast immer blind unterschreiben. Wobei Marktforschung ein weites Spektrum umfasst, nicht nur streng repräsentative, quantitative Untersuchungen, aber das ist ein anderes Thema.

Die Basis-Checkliste für erfolgreiche Kommunikation

Was bleibt festzuhalten für wirkungsvolle Kommunikation? Was müssen Sie prüfen, wenn Sie ermitteln wollen, ob Ihre Kommunikation erfolgreich ist?

  • Haben Sie ein klares Kommunikationsziel definiert? Kommunikation ist intentional.
  • Können Sie innerhalb Ihres Kommunikationshandels kurzfristig reagieren, variieren und nachsteuern? Kommunikation ist dynamisch.
  • Holen Sie sich laufend Meinungen und Reaktionen Ihrer Zielgruppe zu Ihrer Kommunikation ein? Kommunikation besteht aus Sprecher-Hörer-Wechseln.
  • Wenn Sie verschiedene Medien und Kommunikationsformen einsetzen, sind diese aus Zielgruppensicht inhaltlich integriert? Kommunikation ist ein multisensualer Interpretationsprozess.
  • Ist Ihre Botschaft inhaltlich für die Zielgruppe relevant? Kommunikation erfüllt eine soziale Funktion.

So, und erst wenn Sie alle diese Faktoren mit ja beantworten können, dann kann unter bestimmten Umfeldbedingungen ‚kreativere’ Kommunikation die Wirkung erhöhen. Es kann unter anderen Bedingungen aber auch lautere, authentischere oder nachhaltigere Kommunikation sein, die den Erfolg bringt. Die oben genannten Faktoren sind aber im Gegensatz zur Kreativität unverzichtbar und immer wirksam.

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